Unverdientes Leid ?

Text von Hans Nickl, TG Graz

 

Verdiente Freude, oder - anders - unverdientes schweres Schicksal - oder Glückspilz - tagtäglich tauchen solche Feststellungen in Gesprächen und Zeitungen auf. Und ich muss gestehen: nicht immer und sogleich bei spontanen Ereignissen bin ich mir klar bewusst und sage es mir, dass das Geschehen jetzt gerade selbst verursacht, folgerichtig und gerecht ist und wie oft vergesse ich, mich dafür zu bedanken - bei Karma.

 

 

 

Bild links: Pixabay

 

Karma ist heutzutage ein Begriff, der von vielen Menschen benutzt und verstanden wird. Vor allem in den Partnerschafts- und Familienbeziehungen wird er weitgehend akzeptiert. Die Gemeinsamkeit in Vorleben führt Menschen immer wieder zusammen, sei der Grund nun das Abstoßen oder Anhaften, Hass oder starke Bindungen. Indes macht keine Schwierigkeiten, dass die Verwandtschaftsverhältnisse immer wieder wechseln. Diese Schicksalsverknüpfung geht weit über die Familie hinaus, denn in jedem Leben haben wir ja viele enge Beziehungen. Und wir hören außer vom Familienkarma auch vom Karma eines Volkes, einer Rasse, der Menschheit, der Erde . 

 

Beim Studium des Karmagesetzes, vor allem anfangs, stoßen wir auf vermeintliche Widersprüche. Aber wir haben es wirklich mit Paradoxa zu tun. Alles, was einem Individuum geschieht, ist   k a r m i s c h .   Da sich aber das Individuum ständig entwickelt und somit seinen Charakter ändert und daher auch sein Schicksal, so fallen, wenn die karmische Wiedervergeltung nicht unmittelbar eintritt, wie es selten der Fall ist, ihre leichten oder schweren Wirkungen auf den späteren Menschen, von dem man daher wirklich und wahrhaftig sagen kann, dass er unverdientes Leiden durchmacht.

 

Dieser spätere Mensch ist ja eine weitere Inkarnation oder Verkörperung der Seelenkräfte der höheren unsterblichen Natur und deshalb ebenso gut karmische Wiedervergeltung. 

 

Es gilt der Grundsatz: Was der Mensch sät, das wird er ernten. Die Lehre der uralten Weisheit oder der Esoterischen Tradition besagt, dass alles - jeder Gedanke, jede Gemütserregung oder jeder innere Impuls unentrinnbare Resultate, Folgen oder Wirkungen nach sich zieht, in die der Mensch sich auf diese Weise verwickelt und somit die Fäden des Schicksalsgewebes webt. In diesem Gewebe befindet er sich in jedem Augenblick. 

 

Das einzige Gesetz Karmas, ein ewig unveränderliches Gesetz, ist die absolute Harmonie in der Welt der Materie, wie sie in der Welt des Geistes herrscht. Es ist also nicht Karma, das belohnt oder bestraft, sondern wir sind es selbst, die uns belohnen oder bestrafen, ob wir nun mit der Natur und durch diese wirken und den Gesetzen, von denen ihre Harmonie abhängt, treu bleiben, oder ob wir sie brechen (GL I/704,705).

 

Anschaulich beschreibt Helena Blavatsky in ihrem Hauptwerk "DIE GEHEIMLEHRE"  (GL I/700,701) die allgemeine Lehre: 

 

"Wer an Karma glaubt, muss auch an das Schicksal glauben, das jeder Mensch von Geburt bis zum Tode Faden um Faden um sich herum webt wie die Spinne ihr Netz. Dieses Schicksal wird entweder von der himmlischen Stimme des unsichtbaren Prototyps außerhalb von uns geleitet oder von unserem vertrauten astralen oder inneren Menschen, der für die verkörperte Wesenheit - Mensch genannt - nur zu oft der böse Genius ist. Diese beiden führen den äußeren Menschen, aber einer von beiden muss die Vorherrschaft haben. Vom allerersten Anfang dieser unsichtbaren Rivalität an tritt das strenge, unnachgiebige Gesetz des Ausgleichs auf und nimmt seinen Lauf. Je enger die Vereinigung zwischen der sterblichen Reflexion MENSCH und seinem himmlischen Prototyp ist, desto weniger gefährlich sind die anderen Bedingungen und nachfolgenden Reinkarnationen, denen weder die Buddhas noch die Christusse entfliehen können. Der Mensch ist aber während seines Aufenthaltes auf Erden ein frei Handelnder. Er kann zwar seinem herrschenden Schicksal nicht entfliehen, aber er hat die Wahl zwischen zwei Pfaden, die ihn in jene Richtung führen. Denn es gibt äußere und innere Bedingungen, die die Entscheidung unseres Willens in Bezug auf unsere Handlungen beeinflussen und es liegt in unserer Macht, welchem der beiden Pfade wir folgen wollen. Das selbstgeschaffene Schicksal setzt uns entweder fest wie eine träge Muschel oder trägt uns fort wie eine Feder in einem durch seine eigenen Handlungen erhobenen Wirbelwind - und das ist Karma.“ (GL I/700,701)

 

Daraus ist klar ersichtlich, dass der menschliche Wille genau im Verhältnis steht zu der zunehmenden Vereinigung des Menschen mit seinem innersten, eigenen monadischen SELBST. Das gewöhnliche menschliche Wesen - oder das physisch-astrale Vehikel - ist sehr oft das unbewusste Opfer oder der Sklave karmischer Ursachen, die früher, in anderen Leben, in Bewegung gesetzt wurden und deren sich der jetzige Mensch in keiner Weise bewusst ist, die er auch in keiner Weise gewollt hat und deren "Opfer" er daher ist. So kommt es, dass es im Menschenschicksal "unverdientes Leid" gibt, wie man es oberflächlich mit Recht nennen kann. Jedoch, wie wir wissen, Karma wirkt über Inkarnationen hinweg. Jede Äußerung unseres freien Willens, jeder Gedanke, jede Gemütserregung, jeder innere Impuls und jede Handlung zieht unentrinnbar Resultate, Folgen oder Wirkungen nach sich. Wie im kleinen so im großen. 

 

Man kann die Allnatur als ein unfassbar großes kosmisches Gewebe ansehen, in das alles Existierende hinein gewoben ist. Alle Wesen stehen miteinander in Beziehung. Die Allnatur ist ein ineinander greifendes und sich gegenseitig durchdringendes System von Leben (Plural). So sind die Gedanken und Handlungen anderer ununterbrochen an der Arbeit, das Schicksalsgewebe gestalten zu helfen, in das sich jeder Mensch selbst einwickelt. Und wir selbst sind bei den Anderen mit beteiligt. 

 

So kommt es, dass unsere individuellen Schicksalsgewebe so kompliziert und unzertrennlich miteinander verwoben sind, denn wir geben und nehmen ununterbrochen voneinander. Und doch würden wir sehr deutlich sehen, wenn wir die Gründe für dieses oder jenes Missgeschick bis zu seinen letzten kausalen Quellen zurück zu verfolgen imstande wären, dass auch die Gesamtheit all dieses sogenannten "unverdienten Leides" seinem Ursprung nach unseren eigenen Gedanken, Gemütserregungen und Taten zuzuschreiben ist. Diese sind zwar längst vergessen, dem Bewusstsein entfallen. Dennoch sind sie ebenso wirkungsvoll tätig, als wenn wir uns ihrer erinnerten!

 

Es gibt wahrhaftig keinen Zufall in unserem Leben, keinen hässlichen Tag und kein Unglück das nicht auf unser eigenes Tun in diesem oder einem anderen Leben zurückverfolgt werden könnte. Karma - Nemesis ist nichts weiter als die spirituelle dynamische Wirkung von Ursachen und Kräften, die durch unsere eigenen Handlungen zur Tätigkeit erweckt werden, um Harmonie und Gleichgewicht wieder herzustellen (GLI/705).

 

Ja, strengste und unparteiische Gerechtigkeit regiert die Welt, denn sie ist das Ergebnis der alles durchdringenden Harmonie. Das wahre Herz der universalen Natur ist Mitleid, oder das, was viele "unendliche Liebe" nennen, was unendliche Harmonie bedeutet. Und das einzige Gesetz Karmas, ein ewig unveränderliches Gesetz, ist die absolute Harmonie in der Welt der Materie. Die karmische Harmonie wird nur durch die Ausübung des freien Willens von Wesen gebrochen, törichter und böswilligerweise. 

 

Die esoterische Philosophie hat bezüglich des freien Willens des Menschen eine eigenständige Meinung. Der Wille des Menschen sei zum Teil frei und zum Teil durch die karmischen Folgen seiner vergangenen Handlungen zu seinem Wohle und Wehe gebunden oder eingeschränkt. Jedoch kann der Mensch durch seinen Willen ein immer wachsendes Maß an Freiheit erreichen, in weiterem Maße entsprechend dem Entfalten und Evolvieren einer ständig zunehmenden göttlichen Kraft, die sich an der spirituellen Wurzel seines Wesens befindet. Durch diese ist er mit dem kosmischen Bewusstsein, dem kosmischen Willen, verbunden.

 

So befindet sich also im Geiste eines Wesens, in seiner inneren spirituellen Sonne, in seinem inneren Bewusstsein, die Quelle oder der Born des freien Willens, der sich immer nach außen hin zum Ausdruck bringt. Je entwickelter die Wesenheit ist, desto größer ist auch die Freiheit ihres Willens. Alle Naturreiche streben - auch das Mineral-, Pflanzen- und Tierreich - höheren Dingen zu, nicht nur der Mensch. Aus dem Mineralreich streben die monadischen Strahlen, um in das größere Maß an Intelligenz und Willen im Pflanzenreich hinein zu wachsen. Aus diesem klettern sie heraus aus den beschränkten Gefilden des Denkens und des Willens in das größere Ausmaß an Freiheit und Tätigkeit im Tierreich. Und da die Angehörigen des Tierreiches das Aufdämmern des Denkens und die Anfänge der freien Wahl besitzen, streben sie in genau der gleichen Weise danach, aus ihren relativ begrenzten Gefilden empor zu klimmen in das Menschenreich, in dem selbstbewusste, freiwillige Betätigung begleitet ist von der Ausübung relativ freier Intelligenz.

 

Da wir alle zusammen in komplizierten und verwickelten Schicksalsgeweben verwoben sind - und zwar Mensch zu Mensch - und diese wieder mit allen anderen Dingen im Universum, wird eine gemeinsame Unterstützung, gegenseitige Hilfe und ein Tragen der Lasten anderer zu einer klaren philosophischen und religiösen Forderung erster Ordnung, und das Unterlassen bösen Tuns jeglicher Art, gleich unter welcher Maske, ist das oberste Gesetz unseres eigenen Schicksals. Alle Äußerungen unseres freien Willens mit ihren unentrinnbaren Resultaten sind die Fäden unseres Schicksalsgewebes. 

 

Ein solches Schicksalsgewebe im Leben des Menschen ist jedoch tatsächlich nicht nur der Mensch selbst, sondern bildet auch das verwickelte Gewirr von Umständen, in die der Mensch sich verstrickt hat. Das Leben selbst ist das große Gewebe, das aus unsichtbaren, aber ungeheuer starken Fäden des Denkens, Fühlens und Wollens, die zu Handlungen werden, besteht. Dieses große Gewebe ist gewoben aus Lebewesen, von denen jedes in seiner Sphäre   S c h ö p f e r   jener besonderen Fäden ist. Diese besonderen Fäden fügt jedes als einen Tribut dem allgemeinen Ganzen hinzu. Zu diesen Heerscharen von Wesen und Kreaturen, die das große Gewebe des Lebens ausmachen oder sind, gehören nicht nur diejenigen, die auf unserer kleinen Erde existieren, sondern auch die fast unzählbaren Hierarchien. Denn das Universum ist angefüllt mit spirituellen Wesen und Wesenheiten, ob man sie nun Götter oder spirituelle Wesen nennt, so wie die Theosophen und andere, oder Engel und Erzengel wie die Christen - oder rishis und devas wie die Hindus oder Dhyan-Chohans und Devas wie die Buddhisten, oder Theoi und Dii wie die alten Griechen und Römer. Alle diese Namen stehen für die fundamentalen Vorstellungen der verschiedenen Völker, das diese Energie spendenden Wesenheiten, das diese intelligenten und halbintelligenten Kräfte die wahren Wurzeln und die hierarchische Struktur des Noumenalen (oder des zeugenden), wie auch des phänomenalen Universums bilden, in dem wir leben und uns bewegen. Sie liefern somit die Gesamtheit kausaler Kräfte und Energien, die das Universum ausfüllen. Sie bringen sich auf verschiedenartigste Weise im phänomenalen Universum zum Ausdruck. Sie sind die Naturkräfte über die man so oft spricht und über die man so wenig wirklich weiß. Elektrizität z.B. ist aufgrund neuester wahrhaft okkulter Entdeckungen auch in unserer modernen Wissenschaft echt mystisch und geheimnisvoll geworden. Elektrizität ist eine solche Ausdrucksform noumenaler Kräfte auf unserem irdischen Plan, die phänomenale Erscheinung, die sich auf der aller niedrigsten Ebene ihres hierarchischen Tätigkeitsfeldes manifestiert. Wir können also bei Elektrizität einerseits von der Energie und andererseits von der Substanz des unsichtbaren Wesens, ihrer Quelle oder Wurzel, sprechen. Elektrizität ist beides - Energie und Substanz. Auch wir sind in unserem höchsten Teile Götter - hinabgestiegen in die materiellen Welten, um erfahren und selbstbewusst auf unserer Pilgerfahrt des Geistes langsam unseren Weg zurück zu unserer göttlichen kosmischen Quelle zu bahnen. Die Theosophie bzw. die Esoterische Tradition verwirft aufgrund unerschütterlicher Logik jeden Gedanken, dass es "Glück" oder "Zufall" in dem grenzenlosen Universum gibt, was auch immer diese Worte bedeuten mögen. 

 

Auch bei uns hier im Abendland gibt es große Menschen die sagten: "Wir gebrauchen das Wort Zufall, um unsere Unwissenheit über Dinge, die wir noch nicht ursächlich verstehen, auszudrücken.“ 

 

Frage: Wenn wir von "Naturgesetzen" sprechen, meinen wir dann gewisse Tätigkeiten der Naturkräfte, die immer denselben Verlauf nehmen, und dass diese Kräfte von irgendeinem großen, erhabenen Individuum in Bewegung gesetzt werden, das die Menschen "Gott" nennen?

 

Wenn das so wäre, dann ist dieses große Individuum ein Titan oder ein kosmischer Mensch - durch die Phantasie des Menschen gestaltet - de facto verantwortlich für alles, was in dem vermeintlich von einem solchen Wesen erschaffenen Universum stattfindet, gemäß den von einem solchen Wesen als Gesetzgeber vorgeschriebenen Gesetzen. Das würde den Menschen und alle anderen bewussten und halb-bewussten Wesenheiten und alle Dinge zu bloßen natürlichen Automaten herabsetzen. Ihnen könnte kein freier Wille zugeschrieben werden. 

 

Eine solche Idee wäre auch eine leichte Art, die spirituelle, intellektuelle und ethische Verantwortung für das, was wir an Gutem oder Bösem zu unserem oder anderer Wohl und Wehe tun oder getan haben, jemand anderen oder etwas anderem aufzubürden. Der Mensch ist nur eine der unzähligen Scharen von Wesen verkörperter Bewusstheiten, die das Universum anfüllen. Und jede einzelne Schar webt sich ihr eigenes Schicksalsgewebe. 

 

Nirgends im Universum finden wir etwas anderes als diese Hierarchien von Wesen, die zusammenspielen und unaufhörlich miteinander verwoben sind, durch Intelligenz und Willen dieser aktiven Bewusstheiten. Dieses Zusammenspiel und aufeinander Einwirken deren kausaler Kräfte und der sich in einzelnen Fällen ergebende Konflikt zwischen den Willen (Plural) ist der Ursprung allen Übels in der Welt, nicht nur unter den Menschen, sondern von den Übergöttern abwärts durch alle Zwischenstufen bis zum Menschen, denn sie alle sind auf der aufwärts führenden kosmischen Lebensleiter miteinander verknüpft. 

 

Das Böse oder die Disharmonie unter den Tieren ist derselben Ursache zuzuschreiben und in geringerem Grade im Pflanzen- und Mineralreich. Ohne diesen Konflikt menschlicher Willen (Plural) - bzw. ohne den falschen Gebrauch jener göttlichen Fähigkeit von Intelligenz und relativ freien Willen gäbe es auf Erden keine Sünde, keine Disharmonie - so weit es sich um Menschen handelt.

 

"Das Böse in den Seelen hat seine Quelle in dem Eigenwillen der Seelen und ihrem Verlangen nach Selbstausdruck, der die Verkörperung herbei führt.“ 

Plotin

 

Und das ist auch die Antwort auf die uralte Frage: Was ist es, was wandernde Seelen dazu gebracht hat, ihren göttlichen Ursprung zu vergessen und sich damit ihrer Innewohnenden Spiritualität nicht mehr bewusst zu sein und dadurch Verwirrung und Böses zu verursachen? Hören wir, was Plotin noch weiter dazu sagt:

 

"Sie, die Seelen, fanden Gefallen an dieser falschen Freiheit, was sie dazu brachte, nach ihren eigenen Antrieben und Handlungsweisen Verlangen zu haben, so dass sie auf diese Weise müßig immer weiter trieben und die Pfade des Bösen und des Unrechts entlang gefegt wurden, bis sie schließlich sogar alle Erinnerungen an ihre ursprüngliche Heimat als Strahl des Göttlichen verloren. Ebenso vergessen die wanderenden Seelen auch das Göttliche und ihren eigenen wahren spirituellen Charakter." 

(Plotin, Enneaden,  Die drei Uressenzen V,1,1)

 

Was ist denn das Böse, was ist das Gute? Es sind keine Dinge an sich. Es sind bloß Bedingungen, Zustände durch die Wesen und Wesenheiten hindurch gehen. Das Böse ist Disharmonie, weil es Unvollkommenheit ist. Und das Gute ist Harmonie, weil es relative Vollkommenheit ist. Das Böse ist keine Wesenheit, keine Kraft oder Energie oder Macht  die aus irgend einem Wesen hervorströmt - jedoch außer, wir beziehen und beschränken es auf menschliches Bösestun. Denn damit ist es gerade das Hervorströmen aus dem menschlichen Herzen. Das Böse ist, abstrakt gesagt, der Zustand einer evolvierenden Wesenheit, die sich noch nicht in Einklang gebracht hat mit den fundamentalen Gesetzen der Natur. Es ist der Zustand eines Wesens, der dem vorwärtsstrebenden evolutionären Lebensstrom in stärkerem oder geringerem Maße entgegen wirkt.

 

Oder: Das Böse kann auch jene Lebenspraxis von Individuen genannt werden, die die innere Göttlichkeit noch nicht entwickelt haben. Es ist immer der Missbrauch des Willens und der Intelligenz einer Wesenheit, die sich aufgrund ihrer Unvollkommenheit in einem vorübergehend disharmonischen Zustand mit ihrer Umwelt befindet. Böses tun heißt also so viel wie den fundamentalen spirituellen Strömungen des Universums entgegen zu handeln oder ihnen mehr oder weniger entgegen zu wirken.

 

"Der Wille wird nicht durch niedere Einflüsse (oder Dinge) verschlechtert, sondern der Wille ist es, der sich durch sein zügelloses Verlangen, niederen Dingen zu folgen, selbst verschlechtert." (Hl. Augustinus, Die Gottesstadt)

 

Einige Gedankensplitter:

 

Weder das Gute noch das Böse existieren als Zustände getrennt voneinander. Es gäbe nichts Gutes, wenn es nichts Böses gäbe und umgekehrt.

 

Gutes ist gleich Harmonie, Böses Disharmonie. Folglich sind es zwei Pole desselben kausalen Ursprunges. 

 

Böses kann nicht getrennt von unvollkommenen oder disharmonischen Dingen oder Wesenheiten existieren.

 

Paradox gesprochen ist das Böse ein Zustand, durch den wir Menschen hindurch gehen, wenn wir wachsen, um besser zu werden. Dies "besser" ist jedoch "böse" einem größeren Besseren gegenüber - und daher relativ "böse" etwas noch Edlerem gegenüber.

 

Das Böse ist Unvollkommenheit, ob spirituell oder materiell. Die Materie ist nicht essentiell böse!

 

Das Böse ist das Ergebnis des Missbrauchs des relativ freien Willens des Menschen, der etwas Göttliches ist.

 

Warum manche Menschen es vorziehen, an einen Teufel zu glauben, als lieber zu glauben, dass der Mensch, wenn er dem Göttlichen in ihm zustrebt, vom Bösen ablassen kann, ist eines jener psychologischen Probleme, die auf das erratische und unstete Denken des niederen menschlichen Systems (Kama-Manas) zurückgeführt werden können.

Die esoterische philosophische Lehre der Theosophie zeigt, wie der Mensch aus dem Schlamm des Schlechten zu Besserem und dann "Bestem" emporsteigen und so aus sich einen Gottmenschen auf Erden machen kann. Das Böse wird niemals göttlich, weil es kein Ding ist, das wächst. Nur Wesenheiten werden.

 

Die Kindheit ist kein Ding, sie ist ein Zustand oder eine Phase, durch die eine wachsende Wesenheit hindurchgeht.

 

Es sagt sich so leicht: Gott ist Liebe. Aber unendliche Liebe muss auch das in sich schliessen, was wir das Böse nennen. Sie kann auch das am meisten irrende Geschöpf nicht ausschliessen, welches zu Anbeginn aus seinem Herzen hervorging. Und: Sollen wir das Herz der Göttlichkeit verantwortlich machen für das, was ein irrendes Kind begeht?

Dieser Trugschluss, dass das Böse mit der Zeit gut wird, ist aus der Vorstellung hervorgegangen, dass der Ursprung von allem gut ist und dass daher das Böse wieder werden wird, was es einmal war. Aber ist es nicht sehr gewagt zu glauben, dass der Ursprung von allem gut ist? Gut und Böse sind rein menschliche Ausdrücke; und daher haben sie auch menschliche Merkmale.

 

Es ist wie mit der Moral: die Moral eines Südsee-Insulaners ist nicht die Moral eines Europäers. Wir nennen gut, was die Menschen als harmonisch empfinden - harmonische Beziehungen zu andern Wesen und Dingen.

 

Aus dem unfassbaren Herzen des SEINS fließt der ursprüngliche Same von allem, einschließlich der zahllosen Scharen monadischer Individuen. Diese monadischen Individuen gehen, als lernende Monaden, am Anfang ihrer evolutionären Reise, wenn sie diese Reise als Embryo-Wesenheiten fortsetzen, oft durch "böse Schatten" hindurch und das, weil sie ihren Willen und ihre Intelligenz falsch anwenden. Überall folgt jeder einzelne, ob Mensch oder ein anderes Wesen, seinem eigenen Schicksalsweg und webt sein eigenes Gewebe, aber nicht nur, um sich selbst herum. Er selbst ist jenes Schicksalsgewebe, denn es ist ein Charaktergewebe, es besteht aus einem Gemisch von Kräften und Substanzen, die zu seiner siebenfältigen Konstitution gehören. Hier finden wir die Erklärung dafür, wie das Böse und die Schlechtigkeit in der Welt entstehen.

 

Dazu kommt noch die unberechenbare und ausgeklügelte Betätigung von Scharen von Individuen, die ihren relativ freien Willen und ihre relativ unentfaltete Intelligenz gebrauchen. Und da sich diese unvollkommenen Wesenheiten aufgrund von Unwissenheit und Leidenschaft oft falsch und zum Schaden und Verderb anderer ähnlicher Individuen um sie herum entscheiden, bringt dieser Konflikt der Willen (Plural) so das verwickelte Verflechten der Fäden der vielen Schicksalsgewebe zustande.

 

Dies ist die große Ursache für Leid und Elend, wenigstens in Bezug auf die Menschen, deren wir uns als Menschen so schmerzlich bewusst sind. Alles, was auch immer mit unserem Leben in Berührung kommt, hat in uns selbst seinen Ursprung. Denn was wir jetzt säen, werden wir ernten. Und wir ernten, was wir in diesem oder einem anderen Leben gesät haben, und nichts anderes.

 

Kein außenstehender Gott erschafft Elend, Unglück und Zerstörung, damit es über uns komme, noch umgibt uns ein solcher mit unverdienter Freude oder mit Glück und Erfolg. Wir selbst formen uns unser Leben und dadurch tragen wir mit anderen Hierarchien gemeinsam dazu bei, das Universum zu erbauen, d.h. jenen besonderen Teil des Universums, in dem wir uns befinden. So sind alle Wesen und Dinge, die wir erkennen, in Wirklichkeit individuelle Schicksalsgewebe. Auch das Universum selbst ist ein solches Schicksalsgewebe, das durch die Willen und Bewusstheiten der Wesen, Wesenheiten und Dinge, die es anfüllen, die es tatsächlich zusammensetzen, geformt ist. In ununterbrochener Tätigkeit handelt jedes Wesen gemeinsam mit anderen Wesen, die ihm mehr oder weniger gleich sind. Aufgrund dieser verwobenen hierarchischen Struktur des Universums ist jede Wesenheit, ganz gleich welcher Größe, nur eine der Wesenheiten im "Lebensstrom" eines noch größeren Wesens. Die Struktur der Natur ist durchwegs hierarchisch, so, dass von ihren vielen kosmischen Plänen (oder Ebenen oder Stufen der hierarchischen Lebensleiter) ein jeder den Plan wiederholt, der höher ist als er selbst.

 

So kommt es, dass jede individuelle Einheit eingeschlossen ist in dem Lebensstrom, der Konstitution und der Substanz einer anderen kosmischen individuellen Einheit von weit größerem Ausmaß. Die Zusammensetzung des menschlichen Körpers liefert ein anschauliches einfaches Beispiel, als ursprüngliches Vehikel betrachtet ist er aus nichts anderem zusammen gesetzt als aus ungeheuren Scharen kleinster Wesenheiten, von denen jede Recht und Anspruch hat, eine lernende Wesenheit, ein Bewusstseinszentrum auf seinem aufwärts führenden Wege genannt zu werden, wie auch der Mensch selbst mit seinem dominierenden und umfassenden Bewusstsein und Willen.

 

Genauso ist es mit dem Universum im makrokosmischen Maßstab. Somit sehen wir, dass wir durch die untrennbaren und unentrinnbaren Bande eines kosmischen Bewusstseins miteinander verkettet und verbunden sind. Jede Kraft im Universum läuft durch unser Wesen, jede Substanz im Universum hat ihren angemessenen Anteil zu unserem Aufbau beigetragen. Daher kommt es, dass die alten mystischen Schulen vom Menschen als dem Mikrokosmos gesprochen haben. Diese Bindungen bringen sich als alles durchdringender Wille und Intelligenz zum Ausdruck. Deshalb fühlen wir gegenseitig, was andere tun oder wir ihnen antun. Darum wird auch von Seiten jeder Wesenheit der Aufwand einer gewissen Menge ihrer eingeborenen Energie unmittelbar auf die sie umgebende Natur einwirken, die ihrerseits automatisch darauf reagiert, sofort oder nach langer Zeit - wie Karma eben arbeitet.

 

Wenn wir alle auch nur Teile eines größeren hierarchischen Wesens sind, so bedeutet dies nicht Fatalismus als Konsequenz. Wenn wir uns die wesentlichen Lehren der Theosophie vergegenwärtigen und uns an die in diesem Referat wiedergegebenen Erwägungen im Zusammenhang mit Karma erinnern, und an die daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen, so erkennen wir, dass sich das Universum, weil es ein Aggregat von zahllosen Schicksalsgeweben ist, aus ungeheuer aufeinander vermischten großen wie auch kleinen Hierarchien zusammensetzt. Jede von ihnen ist ein Individuum für sich. Aber alle diese Hierarchien sind mit der Überseele des eigenen Heimatuniversums verbunden und in ihr eingeschlossen. Daher sind schließlich alle diese Hierarchien letzten Endes dem fundamentalen Swabhava (Wesenseigentümlichkeit, hervorgebracht durch Selbstwerdung) dem Swabhava dieser Überseele oder dem Gewebe von "Gesetzen" karmisch untergeordnet und unterworfen. Weil nun jeder von uns in seiner innersten Essenz mit der Überseele des Universums identisch ist, so ist folglich daher auch die fundamentale Essenz unseres Wesens dieselbe. Ihr Ursprung ist der unsrige, ihr Schicksal ist das unsrige und ihre "Gesetze" sind die unsrigen. Was daher in irgendeinem Teile des Universums vor sich geht, beeinflusst jeden anderen Teil ohne Ausnahme günstig oder nachteilig, in genau derselben Weise, wie z.B. ein krankes Herz oder eine kranke Leber oder ein verbrannter Finger den gesamten Körper nachteilig beeinflussen wird, bis die Krankheit oder das Leiden geheilt ist. Somit sind wir, ob wir es wollen oder nicht, bewusste oder unbewusste Mitarbeiter des Universums, wobei sich jeder von uns seines eigenen Maßes an freiem Willen erfreut und doch sind wir alle dem großartigen Schwingen der Harmonie und der kosmischen Impulse des Universums unterworfen. 

 

Es sollte daher jedem nachdenklichen Geiste klar sein, dass das, was wir Menschen den äußeren Aspekt der Natur Karmas nennen, das stets höchste und gewöhnlich allbeherrschende Wirken und Tätigsein der Überseele ist, die sowohl durch alle Dinge, wie auch von innen heraus und sozusagen auf uns herab, auch von außen her wirkt, aufgrund unserer ewigen und engen Vereinigung und Fühlung mit allen anderen nur möglichen Wesen und Dingen.

 

So sehen wir, dass das, was wir unverdientes Karman nennen, das ist, was wir durch den Anstoß der Kräfte und Wesen der Welt, in der wir leben, erleiden und in größerem Ausmaß durch den Anstoß der Kräfte und Wesen des uns umgebenden Universums, in welchem wir uns bewegen, leben und unser Dasein haben. Wir leben innerhalb des vitalen, ätherischen, psychisch-intellektuellen und spirituellen Lebewesens von größeren, ja weit größeren Wesenheiten als wir es sind. Und wir müssen ihnen deswegen gewissermaßen in ihrem Ausdehnungsbereich kosmischer Gedanken und Handlungen sklavisch folgen. Jedoch ist das kein Fatalismus.

 

Genauso ergeht es den Lebensatomen die meinen Körper bilden. Ob sie wollen oder nicht, müssen sie meinem persönlichen Willen folgen, z.B., wenn ich verreisen will. Es gibt für sie keine Wahl. So kann das Leben innerhalb einer größeren Wesenheit für ein Ego eine Menge unverdienten Leidens hervorrufen. Devachan entschädigt für all das erlittene Ungemach. Aber zu Lebzeiten schon hat das Ego Anspruch auf jede nur mögliche Hilfe und tragendes Mitgefühl seiner Mitmenschen -und wohl auch der Bruderschaft.

 

Der Mensch ist mehr als sein unvollkommener menschlicher Wille und seine menschliche Intelligenz, weil er ein zusammengesetztes Wesen ist. Durch ihn hindurch wirkt als innerer Kern die ungefesselte majestätische Kraft des Brahmanischen Athman, die relativ gänzlich freien Willen und relativ vollständige Weisheit von kosmischem Charakter in sich schließt. Auch darum dürfen die Worte "unverdient" und "verdient" in all den erörterten Fragen und Fällen nicht allzu wörtlich genommen werden.

 

Unsere Mahatmas und Frau Blavatsky lehrten uns die Karma-Lehre vom buddhistischen Standpunkt aus, weil sie dort wohl am besten durchgearbeitet und für westliche Gemüter am leichtesten zu verstehen ist. Die buddhistische Lehre ist die: Jedes Menschenwesen ist in jedem Augenblick seiner Existenz nur die karmische Frucht des vorhergehenden Augenblicks und aller vorhergehenden Augenblicke. Und dass ferner jeder Augenblick und deshalb jedes neue Leben einen "neuen Menschen" hervorbringt. Einen neuen Menschen mit Zuwachs an Intelligenz, an Willen, an Urteilskraft und an Gewissen, auch an Bewusstsein. So ist jedes neue Erdenleben ein "neuer Mensch“. Er ist das karmische Kind des alten Menschen des vorhergehenden Erdenlebens und der vorhergehenden Erdenleben. So kommt es, dass ein Mensch in jedem Augenblick das Karma aller vorhergehenden Verkörperungen ist und damit stets sein eigenes Karma. In der alten buddhistischen Schrift "Dhammapada" sind die Worte Buddhas, des Herrn, enthalten:

 

"Alles, was wir sind, ist das Resultat dessen, was wir gedacht haben: es gründet sich auf unseren Gedanken, es baut sich auf unseren Gedanken auf.“

"Wenn ein Mensch aus einem bösen Gedanken heraus spricht oder handelt, folgt ihm der Schmerz, wie das Rad dem Fuss des Ochsen folgt, der den Wagen zieht.“

"Wenn ein Mensch aus einem reinen Gedanken heraus spricht oder handelt, folgt ihm das Glück wie der Schatten, der ihn nie verlässt.“

 

Wenn man klug genug ist, diese Worte zu entschleiern, liegt in diesen wenigen Sätzen die Offenbarung dessen, was Karma in all seiner majestätischen und geheimnisvollen Vielfältigkeit ist. Wenn wir unsere eigenen, inneren spirituellen Fähigkeiten und Kräfte aus unserem Inneren heraus entwickelt haben werden, so dass sie in unserem Leben wirksam und unser selbstbewusster Wille werden, dann haben wir den edelsten Teil des Schicksals, das vor uns liegt, erreicht - wenigstens für dieses Manvantara. Denn wir sind dann eins geworden mit dem Universum, in welchem wir uns bewegen und leben und unser Dasein haben.

 

Das Leben ist endlos, die Evolution ist ohne Ende, da sie ohne Anfang ist; und wir, als evolvierende und revolvierende und sich immer entwickelnde Monaden, steigen immer höher und höher auf den wunderbaren Pfaden des Schicksals. Die Schicksalsgewebe in ihrem ungeheuren Aggregat sind das Universum selbst und die individuellen Gewebe bilden jenes Universum und sind somit in allen Bedeutungen des Wortes dem Ursprung nach dasselbe und dem Schicksal nach identisch und essentiell eins mit ihm. Die individuellen Schicksalsgewebe geben dem Universum, indem dieses sich durch Evolution selbst weitet, die unbeschreibliche Schönheit des sich in Mannigfaltigkeit immer entfaltenden Mysteriums, welches wir das kosmische Leben nennen.

 

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Quellen: G.v.Purucker: "Schicksalsgewebe I und II“ und HPB: "Schlüssel zur Theosophie"

Vortrag von Hans Nickl TG Adyar Loge Graz - gehalten August 1996 im Haus Sanitas (Rohrbach/Österreich)

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