Der Ursprung des Weihnachtsfestes

 

Text von Prof. Dr. Gottfried von Purucker

 

 

Es wird allgemein angenommen, dass das Weihnachtsfest eine durchaus christliche Einrichtung und ursprünglich ein Kirchenfest gewesen ist, das in der letzten Zeit zu einem Fest mehr materieller und prosaischer Art entartet ist. Dies ist wahr; doch reicht der Ursprung des Weihnachtsfestes weit bis in die frühesten Zeiten europäischer Geschichte zurück. Weihnachten ist ein Fest des Abendlandes, aber nicht des Morgenlandes.

 

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In dieser Beziehung unterscheidet es sich von den meisten großen religiösen Gedenktagen, von denen gelehrt wird, dass sie über die ganze Erdkugel verbreitet sind und einen gemeinsamen Ursprung gehabt haben; mit anderen Worten, dass diese Weltfeste eine Erklärung haben, die für alle Völker dieselbe ist. Sie entstanden nicht in einem einzigen Erdteil, sondern gehörten jenem Grundsystem philosophischen und religiösen Denkens an, das der Menschheit als Ganzem angehört .

 

Der religiöse und philosophische Gedanke, der das Weihnachtsfest im Abendland hervorgebracht hat, wurde jedoch auch in den morgenländischen Ländern voll gewürdigt und verstanden, obwohl es hier einen deutlich ausgeprägten mystischen Charakter trug. Die meisten Menschen des Abendlandes glauben, dass Weihnachten nur Bezug hat auf die Geburt eines einzigen religiösen Lehrers, der im Gedächtnis an seine Kindheit in Ehrfurcht das Christkind genannt wird. Sehr wenige wissen, dass das Weihnachtsfest heidnischen Ursprungs ist und nicht nur ein Gedenktag an die Geburt Jesu Christi.

 

Wenige außer den Gelehrten sind sich der Tatsache bewusst, dass niemand den genauen Zeitpunkt kennt, an dem Jesus, später der Christus genannt, geboren wurde. In den ersten Tagen der Christenheit wurde der Geburtstag auf drei verschiedene Daten verlegt: einmal auf den 6. Januar, den Tag der Heiligen Drei Könige; ein andermal auf den Tag der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche, etwa in die dritte Woche des März, auf den 21. oder 22. dieses Monats; und infolge einer Anzahl meist kirchlicher Ursachen wurde es dann unter den Christen allgemein üblich, den Geburtstag Jesu am 25. Dezember zu feiern. An diesem Tage wurde auch seit alters ein altes heidnisches Fest gefeiert. 

 

Was war nun der Ursprung dieses heidnischen Festes? Eine erschöpfende Antwort würde zu weit führen. Doch kann deutlich gesagt werden, dass es viele Menschheitserlöser gegeben hat, ältere Brüder der Menschen, die zu verschiedenen Zeiten und in den verschiedensten Teilen der Erde geboren wurden. Warum ist nun gerade dieser Tag – der 25. Dezember – vor allen anderen gewählt worden, und zwar nicht nur von den Christen, sondern auch vor ihnen von den sogenannten Heiden? Dafür könnten viele Gründe angeführt werden. Hier seien zumindest einige Angaben gemacht, die wenig bekannt sind. Eine Anzahl Kirchenväter, unter ihnen der feurige Tertullian und der mehr gemäßigte, aber doch ebenso dogmatische Hieronymus, sagen uns, dass am 25. Dezember, oder was dasselbe ist, am 8. Tag vor den Kalenden des Januar nach altrömischer Zeitrechnung, der Sonnengott in menschlicher Gestalt in einer Höhle oder Grotte geboren wurde.

 

In Ägypten und in Phönizien hieß dieser Sonnengott „Adonis“, ein Wort mit anscheinend semitischer Wurzel, denn Adon bedeutet „Herr“. In Phrygien hieß dieselbe geheimnisvolle Verkörperung des Sonnengottes Atys und in Persien Mithras. Der Name „Mithras“ ist sprachwissenschaftlich sehr interessant, und zwar aus folgendem Grund: er findet sich einmal in dem Avesta, den Büchern, die die alte Religion der Perser enthalten, und ebenfalls in der Sanskrit-Literatur des alten Indiens. Seine ursprüngliche Bedeutung ist „Freund“, „Gefährte“.

 

Mithras, der Sonnengott der Perser, soll ebenfalls in einer Grotte oder Höhle geboren worden sein. Sein Geburtstag, wie der des Adonis, wurde am 25. Dezember gefeiert, dem Tag, der unmittelbar der Wintersonnenwende folgte. Dieser Tag wurde oft die Nacht des Lichtes genannt. Die Vorstellung war wohl die, dass dies eine Verkörperung des Logos sei oder die des geistigen Mittlers zwischen dem Göttlichen und den Menschen. Daher wurde er Freund, Mittler, Erlöser genannt.

 

In Bethlehem wird eine Grotte oder Höhle gezeigt, in der der Stall gestanden haben soll, in dem das Christkind geboren worden ist. Diese Fortsetzung früher christlicher Überlieferung ist eine interessante Bestätigung der Behauptung des Hieronymus, dass Jesus in derselben Grotte geboren worden sei, wo früher und nach seiner Geburt die Mysterien des Adonis gefeiert wurden.

 

Aus Berichten der Druiden des westlichen Europas ist von Geschichtsschreibern zu ersehen, dass in alten Zeiten, besonders in Frankreich und Britannien, die Druiden ebenfalls den 25. Dezember mit Freudenfeuern zur Erinnerung an den mystischen Festtag feierten. Sie brannten auf den Bergen und Hügeln Holzstöße ab und entzündeten auf ihren Türmen Leuchtfeuer, denn für sie war es in Wahrheit ein geheimnisvolles Fest des Lichtes.

 

Wir wollen noch einmal zu der Mithrasreligion zurückkehren: Die Gelehrten wissen, dass sich die Mithras- und die christliche Religion in so vielen Einzelheiten ähneln, dass die Erkenntnis dieser Ähnlichkeit schon im 2. Jahrhundert Verwunderung erregte. Professor Grant Showerman (1870–1935) von der Universität Wisconsin hat eine ganze Anzahl interessanter Ähnlichkeiten zwischen der Mithrasreligion und dem christlichen Glauben herausgefunden. Er sagt: „Die Ähnlichkeiten zwischen den beiden großen Religionen waren so zahlreich, dass sie schon im 2. Jahrhundert Gegenstand der Beachtung waren:

  • der brüderliche und demokratische Geist der ersten Gemeinden
  • die Gleichsetzung des angebeteten Gegenstandes mit dem Licht und der Sonne
  • die Legende von den Hirten mit ihren Gaben und ihrer Anbetung
  • die große Flut und die Arche
  • die künstlerische Darstellung des goldenen Wagens
  • das Herauszaubern des Wassers aus dem Felsen
  • der Gebrauch der Glocke und der Kerze
  • das geweihte Wasser und das Abendmahl
  • die Heilighaltung des Sonntags und des 25. Dezembers
  • die Forderung eines sittlichen Lebenswandels
  • die der Enthaltsamkeit und der Selbstbeherrschung beigelegte Bedeutung
  • die Lehre von Himmel und Hölle
  • die Uroffenbarung
  • die Mittlerschaft des Logos, der aus dem Göttlichen hervorgeht
  • das Sühneopfer
  • der beständige Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen und der endliche Sieg des Guten
  • die Unsterblichkeit der Seele
  • das Jüngste Gericht, die Auferstehung des Fleisches und die Zerstörung der Welt durch Feuer.

 

In Anbetracht der vielen augenfälligen Gleichheiten kann gesagt werden, dass beiden Religionen dieselben Wahrheiten und Lehren zugrunde liegen müssen. 

 

Ich glaube, dass der Hauptgrund für die Ähnlichkeit beider Religionen, die auch bei einer oberflächlichen Betrachtung auffällt, darin zu finden ist, dass beide Lehren zu derselben Zeit bei gleichen Völkern unter den gleichen politischen und sozialen Verhältnissen auftauchten. Sie gehörten derselben Zeit an und waren weder durch lange Zwischenräume noch durch geographische Schranken voneinander getrennt.

 

Wenn man nun diese auffallenden Ähnlichkeiten in Betracht zieht und weiß, dass der Mithrasglaube nicht allein mit dem Christentum zeitlich zusammenfiel, sondern ihm auch viele Jahrhunderte vorausging, so muss man sich fragen: welche der beiden Religionen war die ursprüngliche und welche die abgeleitete? Die Antwort auf diese Frage lautet, dass beide weder die ursprüngliche noch die abgeleitete sind.

 

Der gewöhnliche Gelehrte wird sehr wahrscheinlich sagen, dass die Lehren einer Religion das Abbild der anderen sind. Er wird sagen, dass das Christentum vom Mithrasglauben viele dieser auffälligen Ähnlichkeiten übernommen hat und ebenfalls andere Lehren von den Neupythagoreern und den Neuplatonikern; das sind allerdings einige der vornehmsten Bestandteile des christlichen Glaubens. 

 

Als Beispiel brauchen wir nur die Schriften von Dionysius, dem Areopagiten, anzuführen. Doch die Theosophie lehrt, dass beide großen Religionen derselben ursprünglichen Geheimlehre entspringen, die seit Urbeginn besteht. Diese geheime Lehre steht unter dem Schutz jener Weisen, deren Lehre zu gewissen kritischen Zeiten in der Geschichte der Menschheit – diese Zeiten folgen in regelmäßigen Zyklen – zum Wohle der Menschheit erscheint, um ein Licht auf ihrem Weg und eine Offenbarung für ihre Seelen zu sein. 

 

Die Aufmerksamkeit sei noch auf die Tatsache gelenkt, dass, ebenso wie das Christkind in der schönen christlichen Legende am 25. Dezember, auch der Gott Mithras am selben Tag in menschlicher Gestalt geboren worden sein soll. Die Wintersonnenwende, oder doch wenige Tage danach, wurde zudem zum Gedächtnis an die Geburt anderer bedeutender Religionsstifter festgesetzt.

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