Das buddhische Feuer -
Die Kraft der Intuition
Edeltraud Elsas
„Der gegenwärtige Mensch sucht das Vergnügen ohne das Glück, das Glück ohne das Wissen und das Wissen ohne die Weisheit. Die antike Welt gab nicht zu, dass diese Dinge trennbar seien. Auf allen Gebieten trug sie der dreifachen Natur der Menschheit Rechnung.“
Eduard Schur, Die großen Eingeweihten, S. 118
Bildquelle: Pixabay
Gottfried von Purucker führt uns in seinem ‚Wind des Geistes‘ (S. 76) mit folgenden Worten zum Thema hin:
„Es gibt etwas im menschlichen Wesen, das aus erster Hand erkennt. Nennen wir es Geist, nennen wir es Intuition, bezeichnen wir es, wie wir wollen. Die Tatsache bleibt, dass das einzige Wissen, dem wir jemals trauen können, nicht in dem liegt, was wir fühlen und sehen können, sondern in dem, was von innen zu uns kommt. Darüber hinaus wissen wir nichts. Über andere Dinge haben wir nur Vorstellungen, oder wir legen die Vorstellungen anderer Menschen aus. Erkennen wir, dass praktisch jede große Erfindung, die je inner- oder außerhalb der Wissenschaft auf jedem Gebiet menschlicher Anstrengung gemacht wurde, von einem Menschen stammt, der auf diese Weise inspiriert wurde. Und wenn er dieses wunderbare Geschenk der Menschheit übergibt, wird die Menschheit erhoben. Jedes Geschenk solcher Art wurde von dem inneren Genius des Menschen hervorgebracht. Jede große Erfindung war zunächst wie ein Blitz der Inspiration; zuerst kam die Idee und dann kommen vielleicht Jahre der Arbeit, um sie herauszuarbeiten und andere von ihr zu überzeugen. Durch diese innere Kraft können wir die Wahrheit erkennen. Wenn wir aber diese Kraft in uns finden wollen, dann stehen wir in der Tat vor einer Menge harter Arbeit.“
Unbedingte Voraussetzung für die Vorbereitung zu einem selbstbewussten Leben jenseits der Portale des Todes (Nirmanakaya) ist aber das spontane Abrufen intuitiven Wissens.
Ewiges Leben ist ja verschieden vom Fortleben nach dem Tode, das jedem verkörperten Wesen beschieden ist. Es ist die Transzendenz von Leben und Tod. Es ist das Übersteigen der alltäglichen und persönlichen Bedürfnisse sowohl im körperlichen als auch im geistigen Bereich. Das Wachstum der Seele bedingt das Streben zu unpersönlichen Fähigkeiten, welche zum höheren geistigen Menschen gehören und ihn zur Erkenntnis der Einheit alles Seienden befähigt.
Darüber hinaus ist „jedes kosmische Element oder Prinzip aus Bewusstseinspunkten zusammengesetzt, und diese sind in ihrer Grundsubstanz Monaden, die wir etwas frei als kosmische Lebensatome bezeichnen können.“ (G.v. Purucker, Quelle des Okkultismus 1986, Band 2, Seite 4-5)
Deswegen ist „Ewiges Leben“ nach dem Gesetz der Analogie Bewusstsein in unzähligen Abstufungen bzw. ein ständiger Wechsel des Bewusstseins; es gibt nicht so etwas wie unbewusstes Leben!
Es hängt also vom Grad unserer Intelligenz oder Fassungskraft ab, in wie weit wir diese Wahrheit erkennen, aufnehmen und leben können. Dieser Erkenntnisgrad hat selbstverständlich auch Auswirkungen auf alle uns umgebenden materiellen und immateriellen Ebenen.
„Durch ihre Unachtsamkeit werden die Dämonen überwunden und durch Freiheit von Unachtsamkeit gelangen die Götter zu Brahma. Menschen mit gutem Verstehen durchkreuzen den Tod.
Quelle Grafik rechts: theosophie.de
Derjenige, der durch sein Nachdenken über das SELBST die flüchtigen Dinge der Sinne zerstört und nicht einmal an sie denkt, weil er sie niedrig schätzt, und durch seine Erkenntnis auf diese Weise die Begierde zerstört, wird sozusagen zum Tod des Todes und verschlingt ihn“ erläutert William Quan Judge in seinen Studien zur Bhagavad Gita.
„Das wir den Kummer und der Sorge ausgesetzt sind, durch materielle Ereignisse betroffen, durch sie vom Pfade der Pflicht abgebracht werden, den wir begehen sollen zeigt, dass wir noch immer Opfer der Avidya oder Unwissenheit sind.“
(Kommentar zur Bhagavad Gita von Rhada-Krishnan, S. 199, Holle-Verlag 1958)
Bei Paracelsus lesen wir: „Es gibt eine irdische Sonne; sie ist die Ursache aller Hitze, und alle, die imstande sind zu sehen, können die Sonne sehen, die aber, die blind sind, können ihre Hitze fühlen. Es gibt eine ewige Sonne; sie ist die Quelle aller Weisheit, und die, deren spirituelle Sinne zum Leben erwacht sind, sehen diese Sonne und sind sich ihrer Existenz bewusst; aber die, die noch kein spirituelles Bewusstsein erlangt haben, können durch eine innere Fähigkeit ihre Kraft wenigstens fühlen. Diese Fähigkeit nennt man Intuition*.“
*Intuition, das unmittelbare und ganzheitliche Erkennen oder Erfahren von realen Sachverhalten, das Erkenntnisse einleiten oder begleiten kann. Im Gegensatz zu der durch Beweis, Erklärung und/oder Definition vermittelten diskursiven Erkenntnis ist das intuitive Denken einfalls- und eingebungsartig, das schlagartig Sachverhalte klärt, Zusammenhänge aufdeckt oder Lösungswege zeigt (Denken). Die Resultate einer naiven Intuition sollten stets einer kritischen Kontrolle durch empirische oder logische Nachprüfung unterzogen werden; dies gilt insbesondere für die oft irrende Menschenkenntnis.
Der Begriff der Intuition wird abgeleitet vom lateinischen „intueri“ - (deponens) betrachten, erwägen, eigentlich: angeschaut werden, daher meint Intuition auch den passiven Sinn von Eingebung und ahnendem Erfassen; es geht um die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen und Gesetzmäßigkeiten ohne den diskursiven* Gebrauch des Verstandes zu erlangen.
*Der Begriff Diskurs wurde ursprünglich in der Bedeutung „erörternder Vortrag“ oder „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet.
Bild: Edition Ewige Weisheit, Die rote Sonne - Symbol des Steins der Weisen
Während diskursives Erkennen auf (einfachen) Sinneswahrnehmungen und aufeinander aufbauenden Schlussfolgerungen beruht, ist intuitives Erkennen eine geistige Anschauung, eine transzendente Funktion des Menschen. Intuition ist soweit Teil kreativer Entwicklungen. Sie steht darüber hinaus in einem engen Zusammenhang mit der „inneren“ Logik der Gegebenheiten und mit früheren Erfahrungen.
Ähnlich äußert sich Gottfried von Purucker in seinen Dialogen Band V, Seite 68: „ … Ich glaube, dass Intuition sehr wohl als das Aufschließen von Türen zu den angehäuften Schätzen aus vergangenen Leben bezeichnet werden könnte. Denn Intuition ist unmittelbares Bewusstsein, unmittelbares Wiedererkennen von Wahrheiten oder Dingen oder Einzelwesen. Intuition hat aber auch noch eine andere Seite, die - vielleicht unvollkommen - als ein eingeborenes Wirken des spirituellen Bewusstseins, welches aber auch als Reminiszenz* eines größeren Lebenszyklus bezeichnet werden kann, den man in früheren Manvantaras durchlaufen hat.“
*Reminiszenz (lat. reminisci „sich erinnern“) ist eine Bezeichnung für eine Erinnerung oder für einen Anklang an etwas Früheres.
In der Psychologie des Carl Gustav Jung ist die Intuition eine von vier psychologischen Grundfunktionen (Empfinden, Denken, Fühlen sind die 3 anderen Grundfunktionen), die eine Wahrnehmung zukünftiger Entwicklungen mit all ihren Optionen und Potentialen ermöglicht. Sie wird meist als instinktives* Erfassen oder als gefühlsmäßige Ahnung wahrgenommen.
*Instinkt ist das psycho-astrale Gedächtnis (G.v. Purucker, Dialoge Band 5, Calw 1962, S. 67)
Die konkrete Intuition jedoch vermittelt Wahrnehmungen, welche die Tatsächlichkeit der Dinge betreffen, die abstrakte Intuition vermittelt dagegen die Wahrnehmung ideeller Zusammenhänge. Beim intuitiven Charakter-Typus nach Jung kommt es häufig zu einer Verschmelzung mit dem kollektiven Unbewussten.
„Die kosmische Ideenbildung wiederum, in einem Prinzip oder Träger (Upadhi) zu einem Brennpunkt vereinigt, hat das Bewusstsein des individuellen Ich zur Folge. Ihre Offenbarung ist mit der Stufe des Trägers verschieden. Durch Manas quillt sie als Verstandesbewusstsein empor; durch das feiner differenzierte Gewebe (den 6. Zustand des Stoffes) der Buddhi welcher auf der Erfahrung des Manas als auf ihrer Grundlage ruht als ein Strom geistiger Intuition.“ (Geheimlehre Band I, S. 351)
Behalten wir dieses Zitat aus Geheimlehre I, Seite 351 gut im Gedächtnis, denn es bedeutet im Umkehrschluss, dass alle Ideen in ihrer reinen Form immer schon vorhanden sind. Das Einfärben dieser Ideen durch das Kama-Manas-Prinzip entspricht unserem augenblicklichen Evolutionsgrad. In ferner Zukunft jedoch geht es um das Emporziehen dieser Ideen über das höhere Manas hin zum buddhi-manasischen Prinzip. Mit anderen Worten: Die Ausrichtung dieser Ideen bedarf einer universellen Motivation.
Damit würde sich der Kanal öffnen, durch welche uns alle Intuition und Hilfe der älteren Brüder der Menschheit zuteil werden kann. Der Stufenweg der Erfahrung über Manas hin zu Buddhi ist Bedingung; er kann nicht umgangen werden. Unser sind nur die Siege, welche wir durch persönliche Anstrengung errungen haben, egal in welcher Disziplin.
Ein Mensch kann sich seiner eigenen inneren spirituellen Erleuchtung berauben; er kann dem Licht, das von seinem eigenen inneren Gott ausgeht, die Eingangstür in seinem Gemüt verschließen, indem er sich weigert, seinen eigenen höheren Instinkten und Intuitionen Glauben zu schenken. Andererseits aber kann er wissen, dass er, gegenwärtig unbewusst oder mehr oder weniger bewusst, die Manifestation seines eigenen inneren Gottes ist und dass Wissen ohne Grenzen ihm zufallen kann, wenn er sich mit jenem innersten Zentrum seines Wesens zu verbinden weiß.“ (G.v. Purucker, Die Esoterische Tradition, Hannover o. J., Kap. VII, Seite 30)
Was veranlasst eine Mutter ohne Blick-, Sicht-, und Hörkontakt dennoch zum richtigen Zeitpunkt nach ihrem Kind zu sehen? Wieso kann der Partner am anderen Ende der Welt die Befindlichkeit des oder der Daheimgebliebenen deuten?
Mitten in der Nacht fällt dem Wissenschaftler plötzlich die Lösung ein? „Der Zufall trifft nur einen vorbereiteten Geist“, sagt Louis Pasteur, französischer Chemiker und Mikrobiologe.
Bildquelle: Pixabay
Was erzeugt die „innere Unruhe eines Menschen“, sein Suchen und Streben nach mehr Wissen, nach mehr Licht. Trotz vorhandenem Wohlstand ist der Mensch oft untröstlich. Ist es nur der Umstand des immer mehr sein oder haben Wollens? Sicher nicht!
Woher kommt der Impuls, dieses Streben nach dem Erhabenen, nach mehr Licht, nach mehr Wissen! Es ist natürlich unser „Buddhisches Prinzip“, der Sitz der Intuition. Dieses Prinzip erhält uns am Leben. Denn unser „Vater im Himmel“ (Atman) versorgt uns durch seinen Sohn, das Christosprinzip in uns (Buddhi), mit dem täglichen Brot, dem „himmlischen Manna“*.
* Als Manna oder auch Himmelsbrot wird in der Bibel (2 Mos 16 EU) die sagenhafte Speise bezeichnet, die den Israeliten auf ihrer 40-jährigen Wanderschaft durch die Wüste als Nahrung diente. Im Neuen Testament (Joh 6, 30-35 EU) bezeichnet sich Jesus Christus unter Hinweis auf Manna als „Brot des Lebens“. Im Christentum steht daher Manna als Symbol für Eucharistie.
„Intuition bringt sich als sofortiges Wissen zum Ausdruck. Spirituelles Hellsehen, wovon das psychische Hellsehen nur ein tanzender Schatten ist, befähigt den Menschen, hinter alle Schleier der Illusion zu sehen. Es handelt sich dabei um spirituelle Weisheit und erworbenes Wissen, das in vergangenen Leben im Schatzhaus der Geistseele gesammelt wurde. Wissen oder Weisheit ist demnach das Ergebnis jahrtausendelanger gründlichster Studien, welche die größten Weisen und hervorragenden Denker, die die menschliche Rasse je hervorgebracht hat, absolviert haben.
(G.v. Purucker, Quelle des Okkultismus Band 1, München 1986, Seite 14, 19, 36)
Quelle Grafik
rechts: theosophie.de
Denn „ein Glaube, der auf einem „Für-wahr-halten“ beruht, stumpft unser erhabenstes Werkzeug, die Kraft der eigenen Intuition, ab; ein Glaube jedoch, der auf sich selbst erkämpfte Erkenntnisse gründet, fördert unsere Intuition, belebt sie.“
(Mary Linné, Wegweiser zur Theosophie)
Und die Überwindung der Selbsttäuschung bringt uns auf lange Sicht die goldene Krone gemäß dem Bibelzitat: „Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“*
* Sey getrew bis an den Tod / So wil ich dir die Krone des Lebens geben. (Luther-Bilbel 1545: die Offenbarung des Johannes. Apk 2, 10); in der Übersetzung von 1912 heißt es allerdings schon: sei getrost bis an den Tod. (Luther-Bibel 1545: Offenbarung des Johannes Apk 2, 10)
Versagen heißt, wiederum versuchen. Denken wir daran: Die Seele reift durch Tränen und Leid. Und ehe unsere Herzen von Tränen erfüllt sind und davon überfließen, können wir keine Erkenntnis der höchsten Mysterien haben.
Wissen, Wollen, Wagen, Vollbringen und Schweigen!
Das ist der Pfad der Sonne!
Wir spielen mit dem Feuer, wenn wir hier mit einer anderen Geisteshaltung kommen, als der eines nach Wahrheit Hungernden, als der eines Menschen, der mit dem Wunsche kommt, seine Mitmenschen zu lieben und ihnen zu helfen. Mit dem Okkultismus kann man nicht spielen. Für uns heißt es: Entweder Göttlichkeit erstreben oder sich der Gemeinschaft mit den Brüdern des Schattens nähern!“ (Gottfried von Purucker, Im Tempel)
„Die Intuition, ein Vorbote des Sinnes für spirituelles Verständnis, wird allmählich anerkannt werden. Während die Zeitalter vorüberziehen … wird dieser spirituelle Sinn mehr und mehr in Erscheinung treten.“ (Judith Tyberg, Sanskrit Keys to the Wisdom Religion, Point Loma 1968, Kap. V Lektion 9)
Gottfried von Purucker
Bildquelle: Blavatsky Theosophy
„Denn das Sehnen nach selbstbewusster Fortdauer der Existenz gründet auf einem klaren, ewig flutenden Intuitionsstrom, der im Herzen des Geistes (buddhi-manas) in uns entspringt und unseren Gehirn-Verstand mit seinem heiligen Feuer berührt.“ (G.v. Purucker, Die Esoterische Tradition, Kap.VII, Seite 26)
„Anfänglich hören wir diese stille Stimme und erkennen ihren klaren Weckruf nur schwach und nennen sie eine Ahnung oder Intuition, die sie auch wirklich ist. … Durch Überwindung von Egoismus und Eitelkeit können wir diese wunderbaren inneren Quellen der Geist-Seele, aus welcher der Strom der Intuition fließt, kultivieren. Dann sehen wir die herankommende Wahrheit gegenwärtig und erkennen ihre Weisungen, eine Wahrheit, welche uns unsere innere Natur in unversiegbaren Strömungen zuführt.“ (G.v. Purucker, Die Esoterische Tradition, Einleitung, Seite 10)
Wenn Plotin der in der Zeit versunkenen Seele die Möglichkeit der intuitiven Erkenntnis abspricht und sie dem Geist allein vorbehält, bedeutet dies freilich nicht, dass die Verwirklichung intuitiven Schauens dem Menschen während des irdischen Lebens verwehrt ist. Ganz im Gegenteil!
Die Persönlichkeit muss sogar im Laufe der Ewigkeiten im Hier und Jetzt - das bedeutet in irgendeiner Inkarnation - ihren buddhistischen Kanal öffnen. Damit ist der betreffende Mensch eben nicht mehr in welthafter Zeitlichkeit gefangen und bewohnt noch während seines irdischen Lebens zumindest zeitweise eine andere Bewusstseinssphäre.
Und „welchen Wert hätte es denn, mit weniger als der Wahrheit zufrieden zu sein? Um erfolgreich zu leben, müssen wir lernen, sicher zwischen der niederen und höheren Natur des Menschen zu unterscheiden. Wir müssen lernen, durch Wissen zu überwinden, oder es wird uns beigebracht werden, durch Leiden zu überwinden.“ (Katherine Tingley, Die Götter warten, Eberdingen 1995, S. 9-10)
„Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Welches Herz ist gemeint? Natürlich das spirituelle Herz, der Sitz der Intuition: Buddhi, das Christosprinzip in uns, welches durch die Kraft der Unterscheidung alle Dinge und Ereignisse richtig wahrnehmen und einordnen kann.
H.P. Blavatsky, Bildquelle facebook
Jedoch: „Ehe deine Seele verstehen kann, muss die Knospe der Persönlichkeit zertreten und der Wurm der Sinnestäuschung so zerstört sein, dass er nie wieder lebendig wird.“ Helena P. Blavatsky, Die Stimme der Stille, 4. Auflage Calw 1976, Seite 17
Drei Hallen müssen durchlaufen werden, um zur Wirklichkeit zu gelangen: „Wenn du im Namen der Hallen lernen möchtest, so höre und merke:
* Akshara, das Unvergängliche und Unzerstörbare des kosmischen Selbst (Brahman), Höchste Gottheit; wörtlich „unzerstörbar“, immer vollendet.
Um nicht in den Schlingpflanzen der zweiten Halle, der Halle des Lernens - der Astralregion - hängen zu bleiben, empfiehlt Frau Blavatsky folgende Achtsamkeitsübung:
Die Wegweiser, welche wir unbedingt nützen müssen, um die Halle des Lernens sicher durchschreiten zu können, sind die Paramitas (Tugenden), wie sie uns in der Stimme der Stille gegeben sind. Unser Intellekt bedarf aber auch hierbei der intuitiven Führung.
Es wird folgende Vorgehensweise empfohlen:
„Wenn du die erste Halle glücklich durchdringen willst, so lasse dein Gemüt nicht dadurch täuschen, dass du die Feuer der Lüste, die in ihr brennen, für das Sonnenlicht deines Lebens hältst. Wenn du die zweite Halle glücklich durchdringen willst, so bleibe nicht stehen, um die betäubenden Wohlgerüche der Pflanzen einzuatmen.
Wenn du frei sein möchtest von den Ketten des Karma, suche nicht nach dem Guru in jenen Regionen des Wahnes. Die Weisen halten sich nicht in den Lustgärten des Sinnlichen auf und lauschen nicht den verlockenden Rufen der Täuschung.
Suche ihn, der dir zur Wiedergeburt (im Geiste) verhilft, in der Halle der Weisheit, in den Hallen die jenseits jener liegen, in denen keine Schatten sind, und wo das Licht der Wahrheit in nie abnehmender Herrlichkeit leuchtet.“
Das Gesetz der Siebenfältigkeit gilt jedoch entsprechend dem hermetischen Grundsatz: „Wie oben, so unten“ natürlich auch in den kleinsten Bereichen. Von daher muss klar sein, dass es sich um mehrere Ebenen bzw. Schleier handelt, die wir mit reinem Motiv und unablässiger Anstrengung überwinden müssen.
Seien wir also entschlossen und gleichzeitig geduldig. Die Frage lautet nicht: Was werden wir tun? sondern: Wie werden wir es tun? In welchem Geiste werden wir handeln?
Arbeiten wir an unseren eigenen Fehlern und Unzulänglichkeiten, denn diese sind es, welche im wahrsten Sinne des Worte die Not wenden. Der Erfolg liegt bekanntlich nicht in der Negation, sondern in der Überwindung. Zur Schulung unserer Unterscheidungskraft sind unsere Fehler ja unabdingbar; immer jedoch unter der Voraussetzung eines aufgeschlossenen, selbstkritischen Denkens! Jedes Versagen ist deshalb ein Erfolg, solange wir in unserem ernsthaften Streben nicht nachlassen. Denn nicht mehr zu Streben bedeutet Tod, weil wir uns damit von den geistigen Quellen abtrennen, welche unser berechtigtes Erbe sind. Wie sehr der Mensch nach dem Überschreiten seiner derzeitigen Bewusstseinsgrenzen trachtet, , wird in seiner immer intensiver werdenden Sinnsuche offenbar.
Hüten wir uns jedoch vor den Einflüsterungen unserer Psyche; dieses weite Feld ist ja mit empirischen Mittel weder analysierbar noch transformierbar. Das ist auch der Grund, weswegen Mitarbeiter der psychologischen Berufsgruppen auf Dauer nur erfolgreich sein können, wenn sie wahre Philanthropen (Menschenfreunde) und humanistische Psychologen* sind.
* Humanistische Psychologie, Richtung der Psychologie, die sich v.a. gegen den Behaviorismus und die Psychoanalyse wendet. Ihr Ziel ist die Entwicklung der Persönlichkeit in Richtung Selbstwahrnehmung, Selbstverwirklichung und -erfüllung, Erfahrung von Verantwortlichkeit und Sinnhaftigkeit. Etliche jüngere Psychotherapieverfahren (z.B. Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Transaktionsanalyse) gründen in der humanistischen Psychologie und haben wesentlich zu ihrer Verbreitung beigetragen.
„Eine klare Sicht der Wirklichkeit ist nur im sogenannten dritten Bewusstseinszustand des Menschen möglich, welchen wir Sushupti nennen. Für den durchschnittlich entwickelten Menschen ist es der traumlose Tiefschlaf, in welchem das niedere Ego in tiefe Selbstvergessenheit eintaucht.
Nun behauptet die esoterische Tradition, dass der Mensch ein Bewusstseinsstrom sei. Welcher Mensch mit welchem Bewusstsein ist gemeint?
Allgemein leben wir ja mit unserem Bewusstsein während des sogenannten Wachzustandes (jagrat)* im kama-manasischen Bereich; selten erheben wir uns in höhere Bereiche.
* Wachen (j grat),Traum (svapna), Schlaf (su upti). Drei Bewusstseinsstufen, die zum transzendenten Stadium (tur ya) emporführen; Rhada Krishan, Kommentar zur Bhagavad Gita S. 401
„Da der menschliche Wille im buddhi-manas-Prinzip wurzelt, … sollte konsequenterweise die Intuition und das höhere manasische Prinzip unseren menschlichen Willen zu edlen Taten anleiten.“ (G.v. Purucker, Quelle des Okkultismus Band 1, München 1986, Seite 13
Geprüft und für tauglich gefunden bedeutet hier allerdings, qualifiziert zu sein, umfangreichere Pflichten zu übernehmen.
Wenn jedoch Fohat - der aktive Mittler der Willens-Elektrizität oder der Atem der Weisheit - das Streitross ist und der Gedanke der Reiter, so wird ganz klar, dass wir immer prüfen müssen, aus welchem Bereich der bewegende Wille seine Energie bezieht.
Quelle Grafik links: Starfish
Handelt es sich um Anregungen aus der Kraft der Intuition - angesiedelt im 6. Prinzip - buddhi, so sind wir auf der sicheren Seite. Steht hinter dem bewegenden Willen ein persönliches Verlangen, müssen wir uns in acht nehmen; denn „jeder Gedanke bildet eine physische und eine mentale Verbindung zu dem Wunsch, in dem er wurzelt.“ (William Quan Judge, Das Meer der Theosophie, München o.J., Seite 80)
Die theosophische Lehre besteht entschieden darauf, das die Individualität permanent ist und der Notwendigkeit unterliegt, weiterhin an der Evolution teilzunehmen. Diese Individualität hat eine Pflicht zu erfüllen: Sie muss die gesamte Stoffwelt unserer Globenkette, zu der die Erde gehört, auf eine höhere Stufe emporheben.
Nicht kontrollierte Gedanken, Worte und Taten stehen aber der Erfüllung dieser Pflicht aufgrund des Karmagesetzes im Wege.
Jeder von uns, der sich Schwächen erlaubt, hält damit die gesamte Evolution auf; jeder von uns kann aber auch durch Selbstdisziplin und Charakterschulung ganz wesentlich zum zeitgemäßen Ablauf beitragen.
Und fühlen wir uns nicht wie neugeboren, wenn wir als Sieger aus einer überstandenen Versuchung hervorgehen? Zeigen wir doch dem Hass, der Gier, dem Neid, dem Streit und der Eifersucht einfach die kalte Schulter. Niemand kann uns tatsächlich etwas anhaben. Wenn wir uns durch das Ausströmen liebevoller Gedanken wappnen können, haben wir nichts zu fürchten durch die Brüder des Schattens. Sie kommen nicht an uns heran.
Durch den Lebenskampf und die daraus resultierende Überwindung unserer eigenen Fehler und Schwächen werden wir zu Höhen empor geführt. Und hier schließt sich ein kleinerer Kreis oder Zyklus des Werdens. Sehen wir doch ein, dass die Macht des menschlichen Willens sich der Macht des Universalgemütes bzw. des Universalwillens beugen muss.
Weben wir uns mit Hilfe unserer Intuition in das Netz des Universalwillens ein, so kommen wir langsam unserem Evolutionsziel näher. Dies ist deshalb so wichtig, weil in diesem außermessianischen Zyklus von 10-12.000 Jahren die Entscheidung fällt: Gehen wir aufwärts oder abwärts?
Sicherlich hilft es uns weiter, die Metaphysik jener zu studieren, die die Rätsel des Lebens - was unsere Evolutionsperiode anbelangt - schon vor Zeitaltern gelöst haben. Dies sind jedenfalls unsere Meister als auch große Seher und Weise anderer geistiger Strömungen.
Und bitten wir unseren „Himmlischen Vater“ - Atman - um das Brot des Lebens, so wird er uns sicherlich keinen Stein auf unser spirituelles Herz - Buddhi - legen. Ganz im Gegenteil: Das buddhische Prinzip in uns flößt uns ständig Gedanken der allumfassenden Liebe ein, vor allem, während des Schlafes.
„Denn der Mensch ist Mensch aufgrund seiner göttlichen Fähigkeiten: Erhabene Intelligenz, spirituelle Intuition, Verständnis, Erkenntnisfähigkeit, Liebe, Pflicht- und Moralgefühl, welch letzteres auch etwas Gottähnliches ist. (G.v. Purucker, Die Esoterische Tradition, Hannover o. J., Kap. IX, Seite 36)
Stellt sich noch die Frage, ob und wie wir unser Intuition schulen können. Besinnen wir uns auf unsere eigenen Kräfte und Fähigkeiten und trauen wir uns etwas zu. Diejenige Seele wird erstarken, welche sich nicht vor Problemlösungen drückt. Lösungen zu erkennen und Schwierigkeiten zu entwirren, ist eine Angelegenheit der Schulung und des inneren Wachstums. Bedenken wir: Es ist immer der halbe Weg. Streben wir unserem himmlischen Vater entgegen, wird der Weg leichter, weil uns die göttlichen Gedanken entgegen kommen.
Und die Stärke der Seele schützt uns genauso, wie uns auch die Aussendung liebevoller Gedanken schützt.
Fassen wir also Mut und nehmen wir uns ein Beispiel an den unermüdlichen theosophischen Lehrern, die uns vorangingen, H.P. Blavatskys Wunsch, die Lehren rein zu halten, damit ihre Inkarnation nicht vergeblich war, sollte uns Ansporn genug sein, um mit dem Lernen und Streben und auch der Selbstdisziplin fortzufahren.
Edeltraud Elsas ist Mitglied in der Theosophischen Gesellschaft Point Loma Covina. Den Vortrag hielt sie während der Sommertagung der TG Adyar in Kassel, Ende Juli 2016.